Etikettenschwindel Mehrwertsteuersenkung

Ende Juni 2020:

Schon seit über 52 Jahren wird für die Steuer das falsche Etikett verwendet. Die Mehrwertsteuer gibt es gar nicht, sie heißt Umsatzsteuer!
 
Die Umsatzsteuer wurde 1918 zur Finanzierung des 1. Weltkrieges mit einem Steuersatz von 0,5 % eingeführt. Ab 1968 wurde die inzwischen auf 4 % gestiegene Umsatzsteuer vom damaligen Allphasenmodell auf das Mehrwertsteuersystem der EWG mit 10 % umgestellt. Vor 1968 wurde also Steuer auf die Steuer bezahlt. Bei 3 Produktionsstufen wurden 12,49 % (4 + 4,16 + 4,33) bezahlt, bei 2 Stufen nur 8,16 %. Bei der Berechnung nach dem Mehrwertsteuersystem wurden 10 % verlangt, der Unternehmer konnte sich dabei aber die Umsatzsteuer aus den Rechnungen seiner Lieferanten abziehen. Das hatte dann eine enorme Bürokratie für die Unternehmen zur Folge, für die in den 1980er Jahren Softwarelösungen entwickelt wurden. Das hat die Staaten zu noch mehr Bürokratie motiviert. Dieses System ist auch sehr betrugsanfällig. Es kommt immer wieder vor, dass Steuer aus fingierten Rechnung abgezogen wird, die der angebliche Lieferant gar nicht an das Finanzamt gezahlt hat.

Die Steuer wird in Irland Value added tax (VAT) und in Spanien Impuesto sobre el valor añadido (IVA), also Mehrwertsteuer genannt. Skandinavien ist mit Mervärdeskatt (ML) in Schweden und Omsaetningsavgift (MOMS) in Dänemark uneinheitlich. In den slawischen Sprachen sind auch beide Varianten vorhanden. Als gesetzestreuer Bürger sollte man sich an die gesetzliche Bezeichnung (Umsatzsteuer) halten. Die Politiker, die es mit den eigenen Gesetzen nicht so genau nehmen, sagen lieber Mehrwertsteuer. Auf diesen Widerspruch könnte man bei Gelegenheit hinweisen!

Die vorübergehende Steuersenkung von 19 auf 16 % und von 7 auf 5 % beim ermäßigten Steuersatz soll offiziell die Verbraucher entlasten. Das wäre aber nur der Fall, wenn der Einzelhandel die Gemüsekonserve für 99 Cent (92,52 Cent + 7 %) zukünftig für 97 Cent (92,38 Cent + 5 %) verkaufen würde. Es ist aber wohl wahrscheinlicher, dass es bei den 99 Cent bleiben wird, und der Handel dann 1,76 Cent mehr daran verdient. Wegen der zusätzlichen Kosten für die Hygienemaßnahmen kann man dafür Verständnis haben. Wahrscheinlich war diese Maßnahme sowieso nur als Wirtschaftsförderung geplant, die die Regierung ein Jahr vor der Bundestagswahl nur als Entlastung der Verbraucher und Stärkung der Kaufkraft verkaufen wollte – also von Anfang an ein Etikettenschwindel!

Aber auch die Wirtschaftsförderung hält sich in sehr engen Grenzen, denn die ganzen Änderungen bei jedem einzelnen Artikel des Sortiments sind für die Unternehmen ein enormer Aufwand. Bei jeder anderen Steuersatzänderung kam das nur alle paar Jahre vor. Diesmal muss aber 6 Monate später alles zurückgeändert werden. „Viele Unternehmerinnen und Unternehmer fürchten einen gigantischen Mehraufwand. So auch Gerhard Hardrath, Handwerksmeister für Sanitär-Heizung-Klima im oberbayerischen Bruckmühl. Für ihn ist das ein bürokratischer Irrsinn.“ (https://www.br.de/nachrichten/wirtschaft/mehrwertsteuersenkung-stellt-wirtschaft-vor-massive-probleme,S1VmyY3) Neben der Bürokratie droht noch ein Stichtags-Chaos. Wenn die Ware lt. Vertrag am 30.06. geliefert werden soll, sind lt. Vertrag 19 % Steuer im Preis enthalten. Wenn sie aber in Wirklichkeit erst am 01.07. ausgeliefert wird, dürfen nur noch 16 % berechnet werden. Bei längerfristigen Lieferverträgen (Bestellung im Mai, Lieferung im Juli) konnte das noch niemand berücksichtigen.

In der Vergangenheit hatte die Wirtschaft ein paar Monate für die praktische Durchführung, und für die Problematik der Umstellungsstichtage braucht man die auch. Jetzt bleiben ihr nur ein paar Tage. Die Rolle rückwärts im Dezember dürfte weniger chaotisch ablaufen. Aber die zweifachen Bürokratiekosten bleiben. Womit sollen dann aber noch die Verbraucher entlastet werden? Auch diese Maßnahme ist also wie der Lockdown insgesamt – ein Schnellschuss und nicht zu Ende gedacht. In der Antwort der Regierung auf die Anfrage der 5 Professoren hat sie eingeräumt, dass sie keine Informationen hatte. Spätestens jetzt kann man hinzufügen – sie hat auch keine Ahnung!

 

Anmerkung:


Es ist erkennbar, dass dieser Text vor dem 01.07. geschrieben wurde und dass nur vermutet wurde, der Handel würde die Steuersenkung nicht an die Verbraucher weitergeben. Dafür wurde ausdrücklich Verständnis geäußert. Der Handel hat extreme Umsatzeinbußen wegen der Maskenpflicht und hohe Mehrkosten wegen der Hygieneauflagen. Er hätte die paar Cent, die der Verbraucher kaum registriert, gut gebrauchen können.

Natürlich hat auch der Verfasser registriert, dass die großen Lebensmitteleinzelhändler den bürokratischen Wahnsinn, tausende von Preisschilder für eine paar Monate zu ändern, mitgemacht haben. Die Regierung konnte aber nicht damit rechnen. Dem sind auch nicht alle Branchen gefolgt. Steuererhöhungen haben in der Vergangenheit nie 1 : 1 auf die Preise durchgeschlagen; es blieb eigentlich immer bei der Endziffer von 9 Cent.  

Bewertung:

 

Für die Konjunktur hat die Steuersenkung nicht gebracht. Außer Spesen nichts gewesen!

 

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