funktionieren Hochschulprüfungen wie Abgastests bei VW?

 

2008 sorgten die schwarzen Kassen bei Siemens für Empörung; aber ist nicht eigentlich jedes Unternehmen in der Lage, kleinere Beträge bei Bedarf auch „schwarz“ auszuzahlen? Manchmal werden nur in Einzelfällen getürkte (= formal echt aber inhaltlich falsch - das Wort stammt aus der Belagerung Wiens 1683 und ist nicht fremdenfeindlich) Abrechnungsbelege für die „Geldwäsche“ (§ 261 StGB wird nicht verwirklicht) verwendet. Für regelmäßige Fälle wird dann auch mit vielen Kleinbeträgen planmäßig Geld Beiseite geschafft. (Die Quelle dieser Erkenntnis ist nach der Rechtsauffassung des Ministeriums ein Betriebsgeheimnis, das auch nach über 20 Jahren noch gewahrt werden muss) Schwarze Kassen gab es nicht nur bei Siemens; die anderen übertreiben es nur nicht! Und die Beispiele für Aufreger-Themen lassen sich fortsetzen. Bei Volkswagen wurden bis 2015 die Abgasuntersuchungen von Diesel-PKW manipuliert um die anspruchsvollen Grenzwerte auf dem Papier einhalten zu können. Es interessierten nur die Werte auf dem Prüfstand, um die Ergebnisse im Alltagsbetrieb kümmerte sich niemand. Aktuell sind es die Panama-Papers. Das Motto lautet: Man darf Alles, man darf sich nur nicht erwischen lassen!

Haben sich hier Moralvorstellungen aufgelöst? Sind Hemmschwellen abgesenkt worden? Ist die Versuchung größer? (wer versteht als Außenstehender schon die Software einer Abgasreinigung?) Diese Fragen stellen sich nicht nur für Siemens oder Volkswagen; sie betreffen unsere Gesellschaft insgesamt. Und fast jeder kann aus seiner eigenen Wahrnehmung Beispiele nennen. VW und Siemens sind überall!

Der Kern der VW-Abgastests war die Meinung: „Es kommt auf die Testergebnisse auf dem Prüfstand an; der Alltagsbetrieb ist nicht so wichtig.“ Die Masse der Studenten sieht das genauso. Ihnen geht es um gute Noten und nicht um das Rüstzeug, mit dem man später im Berufsleben bestehen kann. Auch die Politik schaut nur auf die PISA-Studien und andere internationale Vergleichszahlen. Die Politik ruft nach einer Steigerung der Zahlen von Hochschulabsolventen, die in anderen Ländern höher sind. Ob die wirklich gebraucht werden, weil Deutschland im Unterschied zu anderen Ländern mit der dualen Ausbildung einen sehr guten und breiten Mittelbau an beruflicher Qualifikation hat, interessiert die Politik nicht. Es geht um gute Zahlen und nicht um gute Ergebnisse!
 

Nach § 1 Abs. 3 Hochschulgesetz Rheinland-Pfalz (HSchG) ist die Hochschule ????? eine Fachhochschule, auch wenn sie mit der Umbenennung plakatiert hatte, dass das „Fach“ gestrichen ist. Ob damit die fachliche Komponente oder sogar die Fachkompetenz gemeint war blieb für einen außenstehenden Betrachter offen. Was mit der Umbenennung bezweckt werden sollte ist nur schwer zu erkennen. Wollte man die Öffentlichkeit vielleicht täuschen und den falschen Eindruck erwecken, man wäre gar keine Fachhochschule?

 

Nach § 19 Abs. 5 HSchG sind in die Studiengänge der Fachhochschulen eine berufliche Ausbildung oder ein an deren Stelle tretendes berufliches Praktikum integriert. Sie werden durch einen Wechsel von Studien- und Praxisphasen gekennzeichnet. Man kann nicht den Eindruck gewinnen, als ob dieser gesetzliche Auftrag von der Fachbereichs- und der Hochschulleitung wirklich durchgesetzt wird. Praxisphasen (= Plural!) würden sich nur dann mit Studienphasen abwechseln, wenn mindestens zwei Phasen nach dem ersten und vor dem letzten Semester stattfinden würden. Stattdessen hat die Hochschule das Praxismodul im letzten Semester angesetzt und häufig ist der Praisbericht die letzte Prüfungsleistung - nach der Abschlussarbeit (die doch eigentlich der Abschluss sein sollte). Das Praxismodul erscheint eher als Feigenblatt und lästige Pflichtübung denn als Kernkomponente des gesetzlichen Auftrags. (siehe auch unter http://maulkorb.jimdo.com/profmueller/die-ehrlichen-sind-die-dummen/) Das Prinzip „mehr Schein als Sein“ ist also auch bei der Ausgestaltung des Praxismoduls im Bachelor-Studiengang Betriebswirtschaft der FachHochschule ????? zu erkennen. Selbst Körperschaften des öffentlichen Rechts missachten also die Gesetze! VW ist wohl nur die Spitze des Eisbergs.

 

Für die Absicht der Hochschul- oder Fachbereichsleitung, den gesetzlichen Auftrag nicht umsetzen und ordnungsgemäße Praxismodule nur vortäuschen zu wollen, spricht auch eine andere Beobachtung. 

Bevor die jetzige Vizepräsidentin, in 2016 Dekanin, ihr Amt antrat war sie Studiengangleiterin. In dieser Eigenschaft hat sie massenhaft und ohne jede Rechtsgrundlage studentische Nebenjobs als Praktika anerkannt. Außerhalb des Hochschulbereichs erbrachte gleichwertige Leistungen konnten nach § 25 Abs. 3 HSchG anerkannt werden; Verfahren und Kriterien für die Anerkennung hätten aber in der Prüfungsordnung geregelt werden müssen. Auch die Gleichwertigkeit war nicht gegeben. Ein Praktikum ist der Ausbildung dienendes Arbeitsverhältnis, während der Studentenjob zum Geldverdienen betrieben wird. Bei einem Studentenjob wird man kurz eingearbeitet, erwirbt danach Routine und bringt in einem engen Bereich Leistung. Bei einem Praktikum soll ein breiter Überblick verschafft werden, ohne Routine zu entwickeln. Im Merkblatt stand trotz fehlender Regelung in der Prüfungsordnung, dass eine Werkstudententätigkeit in Ausnahmefällen als Praktikum anerkannt werden könne.

Nach dem Amtswechsel sagte ich dem neuen Studiengangleiter, dass es keine 98 % Ausnahmefälle geben könne. Der entgegnete. dass man die aber aktuell hätte. Darauf wurde vereinbart, dass für die Anerkennung von Werkstudententätigkeiten in Zukunft nicht mehr der Studiengangleiter sondern der Betreuer zuständig wäre – damit musste er sich nicht die Hände schmutzig machen und ich bekam die undankbare Aufgabe, Recht und Gesetz durchzusetzen. Für Drecksarbeit war ich mir aber noch nie zu fein!

 

Vielleicht ist man bei VW erst durch das Vorbild der Hochschulen und die Erfahrungen aus dem Studium (wo man recht gefahrlos mogeln kann) auf die Idee der Manipulation gekommen: Gute Zahlen lassen sich nicht nur durch eine bessere Qualität erreichen; viel einfacher ist der Weg über verwässerte Prüfungen. Viele Studenten lernen sowieso nur gezielt für die Klausur, beginnen damit frühestens 4 Wochen vor der Prüfung und haben den Stoff spätestens 6 Wochen danach wieder vergessen. (dies ist ein Eindruck und keine exakte Messung) Aber sie haben den Schein! Der Anspruch „Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir“ (vgl. auch https://de.wikipedia.org/wiki/Non_vitae,_sed_scholae_discimus) ist aus der Mode gekommen.

 

Was wäre gewesen, wenn sich einzelne Entwicklungsingenieure bei VW den Manipulationen verweigert hätten? Hat der Vorstandsvorsitzende nichts gewusst, oder wollte er nichts wissen? Was wäre gewesen, wenn sie sich vor der Aufdeckung des Skandals an den Vorstand gewandt hätten? Jeder Leser möge diese Fragen zunächst für sich selbst beantworten, sie dann auf Hochschulprüfungen übertragen und sich seinen Teil dazu denken! Ist Volkswagen nur die Spitze eines Eisbergs? Ist das Motto „gute Zahlen statt gute Ergebnisse“ weiter verbreitet als wir denken?

 

Es ist mir nach 24 Jahren an der umbenannten FH ????? inzwischen bekannt, dass die breite Mehrheit der Studenten gute Noten einer guten Ausbildung vorzieht. Bereits bei meinem eigenen Berufseintritt vor 30 Jahren waren die Studieninhalte in Buchhaltung und Kostenrechnung veraltet, und ich hatte mit einem enormen Praxisschock zu kämpfen. Mein Studienwissen war zu einem großen Teil unbrauchbar; aktuelle Inhalte fehlten. Ich stand vor der Wahl: schnell umlernen oder scheitern! Auch als ich in den folgenden 9 Jahren Hochschulabsolventen als Mitarbeiter gesucht habe, fehlte ihnen ein aktueller fachlicher Hintergrund. Aber was ist der Sinn eines Studiums, dessen Inhalte man sofort wieder vergessen sollte? Doch diese Einsicht kommt regelmäßig zu spät!

 

Ich habe nach meinem Berufseintritt analysiert, dass die Lehrenden mit den Laufbahnschritten Assistent – wissenschaftlicher Mitarbeiter – Dozent – Professor praktisch keinen Kontakt zur beruflichen Realität hatten und hauptsächlich das lehrten, was sie selbst im Studium gelernt haben, angereichert durch Inhalte einiger aktuellerer Publikationen. Wenn deren Verfasser aber auch aus dieser Kaste stammten, dann kann für die Praxisrelevanz der Inhalte dieser Publikationen nicht garantiert werden. Häufig wurden in kurzen Abständen Modethemen als „Säue durchs Dorf getrieben“, die in der Praxis nur selten angekommen sind.

 

Mit meiner Bewerbung auf eine Stellenausschreibung der damaligen Fachhochschule des Landes Rheinland-Pfalz vor über 25 Jahren habe ich die Erwartung verbunden, dass ich mit meiner 9jährigen Berufserfahrung im Finanz- und Rechnungswesen, zuletzt als Finance Manager in der deutschen Gruppe eines dänischen Konzerns, eine Lücke füllen könnte und mein Anliegen zur Berücksichtigung praxisrelevanter Ausbildungsinhalte erwünscht wäre. Ich musste aber erkennen, dass die von mir vor knapp 30 Jahren erkannten Mängel in den Studieninhalten wohl nicht nur auf ein falsches Angebot, sondern auch auf fehlende Nachfrage zurückzuführen sind.

 

Z.B. fragte ich einmal in Kosten- und Leistungsrechnung zur Einleitung auf ein neues Thema nach Inhalt und Aufbau der Gewinn- und Verlustrechnung – ein Thema des ersten Semesters und eigentlich nur eine rhetorische Frage, die jeder Teilnehmer beantworten können müsste. Ich erhielt aber nur von einem Studenten eine Antwort (die übrigen Studenten wussten nach eigenen Angaben davon nichts), die prinzipiell auch umfassend war. Ich musste lediglich anmerken, dass 1985 mit dem BiRiLiG das HGB umfassend geändert wurde und der Student die „Kontenform“ der Gewinn- und Verlustrechnung beschrieben hatte, die gem. § 275 Abs. 1 HGB nach Ablauf einer Übergangsfrist seit 1987 nicht mehr zulässig ist. Nur dieser eine Student hat sich darüber empört, dass ihm im vorherigen Semester Inhalte vermittelt wurde, die seinerzeit schon mehr als 25 Jahre veraltet waren. Die übrigen Studenten haben sich nicht daran gestört.

 

[Am 23.05.16, 5 Tage nach der Amtsübernahme des neuen Ministers, zuvor Präsident der (Fach)Hochschule Kaiserslautern, wurden mir von einem hochrangigen Mitarbeiter des rheinland-pfälzischen Ministeriums für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur dienstrechtliche Konsequenzen angedroht. Auch wenn ich der Meinung bin, dass die anonyme Schilderung des Beispiels einer studentischen Äußerung aus einer Vorlesung keine Äußerung zu dienstlichen Vorgängen ist (dann dürften solche Erfahrungen auch nicht in Lehrbüchern verarbeitet werden) habe ich es hier zur Sicherheit trotz Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG (Eine Zensur findet nicht statt.) entfernt. Ein aufmerksamer Leser meiner Seite hält es aber unter http://maulkorb.jimdo.com/profmueller/hochschule-vw-abgastests/ weiter bereit.]

 

Die meisten Studenten wollen einfache Inhalte, die schnell gelernt und danach auch schnell vergessen werden können. Es geht ihnen um gute Noten und nicht um eine gute Qualifikation. Sie wollen den Weg des geringsten Widerstands gehen, auch wenn das – wie eigentlich immer – der falsche Weg ist. Wer als Professor beliebt sein will, muss diesen Wünschen nachkommen und seinen Studenten den falschen Weg zeigen – gleichgültig ob in Unkenntnis oder wider besseren Wissens. Wer den richtigen Weg zeigen will wird auf Bewertungsseiten im Internet zerfleischt. Politikern und Hochschulleitungen, die hauptsächlich an hohen Absolventenzahlen und niedrigen Durchfall- und Abbrecherquoten interessiert sind, kann diese unheilige Allianz aus typischen Studenten und beliebten Professoren nur recht sein. Längerfristig kommt es dadurch aber zu einer Bildungsabschlussinflation, bei der nur die Anzahl der Studienabsolventen erhöht wird, der Wert ihrer Abschlüsse aber sinkt. 

 

Nach den Prüfungsordnungen soll die Note „befriedigend“ eine durchschnittliche Leistung beschreiben. Nach den einschlägigen Statistiken liegen die Durchschnittsnoten aber im 2er-Bereich. Die Fachhochschule Mainz war dabei nach einer Statistik des Wissenschaftsrats für 2010 (siehe unter http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/2627-12.pdf, S. 471) noch eher streng. Es schlossen 55,7 % von 307 Studenten mit 1 oder 2 ab, 16,9 % hatten nicht bestanden; 4er gab es nicht. Bundesweit hatten dagegen 71,9 % aller 11.736 FH-BWL-Studenten eine 1 oder 2 und nur 4,0 % fielen durch und es wurde nur 3 mal (= 0,0256 %) ausreichend vergeben.  Will sich die umbenannte FH Mainz dem Durchschnitt annähern?

 

Ganz spontan fällt einem Zeitgenossen entsprechenden Alters ein Zitat aus Kreuzberger Nächte, Songtext von Gebrüder Blattschuss (1978), ein:

 

Ein Rentner ruft: „ihr solltet euch was schämen!“,

ein Andrer meint das läge alles am System.

Das ist so krank wie meine Leber sag ich barsch,

Die 12 Semester waren noch nicht so ganz um sonst.