Splitter oder Balken im Auge


Eine Aussage der Innenministerin Nancy Faeser in einer Fragestunde im Bundestag ließ die Neuen Medien aufhorchen; im Mainstream wurde sie totgeschwiegen:

 

„Wir wollen insbesondere im Disziplinarrecht und wahrscheinlich auch im Beamtenrecht das insoweit ändern, dass beispielsweise, was mich schon seit langem rumtreibt, eine Möglichkeit zu schaffen, die Beweislast umzukehren. das heißt, wenn Tatsachen vorliegen, dass dann derjenige auch beweisen muss, dass es eben nicht so ist, anstelle dass der Staat immer nachweisen muss, sehr kompliziert, dass eben andere Gründe dafür vorliegen, dass er nicht verfassungstreu ist.“ (https://www.anti-spiegel.ru/2022/innenministerin-faeser-will-ein-grundprinzip-des-rechtsstaates-abschaffen/)


 

Im Rechtsstaat gilt das Grundprinzip der Unschuldsvermutung (dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten). Jeder Mensch gilt solange als unschuldig, bis seine Schuld bewiesen ist. Die Beweislast, also die Schuld eines Beschuldigten nachzuweisen, ist die Aufgabe des Anklägers. Dieses Grundprinzip des Rechtsstaates wurde in Artikel 11 Absatz 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (AEMR) von 1948 verankert:

 

„Jeder Mensch, der einer strafbaren Handlung beschuldigt wird, ist solange als unschuldig anzusehen, bis seine Schuld in einem öffentlichen Verfahren, in dem alle für seine Verteidigung nötigen Voraussetzungen gewährleistet waren, gemäß dem Gesetz nachgewiesen ist“ (https://www.ohchr.org/en/human-rights/universal-declaration/translations/german-deutsch?LangID=ger)


 

Die AEMR hat als Beschluss der Vollversammlung der Vereinten Nationen keine unmittelbare Rechtswirkung. Dagegen ist die Bundesrepublik Deutschland der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) förmlich beigetreten und hat sie ratifiziert. Weil sich die Präambel der EMRK ausdrücklich auf die AEMR bezieht, ist letztere mindestens für die Auslegung heranzuziehen. Die Unschuldsvermutung ist in Artikel 6 Absatz 2 EMRK rechtswirksam festgeschrieben:

 

„Jede Person, die einer Straftat angeklagt ist, gilt bis zum gesetzlichen Beweis ihrer Schuld als unschuldig.“ (https://rm.coe.int/1680a6eaba)


 

Nach dem 4. Absatz der Präambel der EMRK, in dem die Unterzeichnerstaaten ihren tiefen Glauben an diese Grundfreiheiten bekräftigen, welche die Grundlage von Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bilden und die am besten durch eine wahrhaft demokratische politische Ordnung sowie durch ein gemeinsames Verständnis und eine gemeinsame Achtung der diesen Grundfreiheiten zugrunde liegenden Menschenrechte gesichert werden, ist die Unschuldsvermutung nach Art. 6 Abs. 2 der EMRK keine bloße Verfahrensregel, sondern ein unveräußerliches Menschenrecht. Die Unveräußerlichkeit ergibt sich aus der Bezugnahme des ersten Absatzes der Präambel der EMRK auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO vom 10.12.1948, die mit den Worten beginnt: „Da die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet, …“ Damit ist die AEMR mindestens eine Auslegungshilfe zur Anwendung der EMRK.

Und auch im Rahmen der Europäischen Union wird durch Artikel 48 Absatz 1 der EU-Grundrechtecharta, die mit dem Vertrag von Lissabon am 7. Dezember 2000 beschlossen wurde, garantiert:

 

„Jeder Angeklagte gilt bis zum rechtsförmlich erbrachten Beweis seiner Schuld als unschuldig“ (https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:12010P/TXT)



Daneben sind auch noch Artikel 7 Abs. 1 EMR0K und Art. 11 Abs. 2 AEMR (Keine Strafe ohne Gesetz) zu berücksichtigen, die den gleichen Wortlaut haben:   

 

Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Es darf auch keine schwerere als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden.



Diese Vorschrift wird durch Art 103 Abs. 2 GG

 

Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.



ergänzt. Art. 7 EMRK und Art. 11 AEMR verlangen eine Strafandrohung „… nach innerstaatlichem oder internationalem Recht …“, Art. 103 GG verlangt dafür ein formelles Gesetz.

Die Menschenrechte sind nach Art. 25 GG allgemeine Regeln des Völkerrechts, weshalb die EMRK Teil des Bundesrechts ist und den Gesetzen vorgeht. Daraus ergibt sich, dass die Menschenrechte gegenüber den Grundrechten der Art. 1 bis 19 GG gleichwertig sind und einfachen Gesetzen vorgehen. Mindestens ist die EMRK aber in der Fassung des Ratifizierungsgesetzes als Bundesgesetz anzusehen, dass für Beamte der Länder nach Art. 31 GG den LDGs als Landesgesetz vorgeht.

Der Gesetzgeber hat das Beamtenverhältnis nicht als besonderen Arbeitsvertrag, sondern als öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis ausgestaltet. Er hat in den Disziplinargesetzen des Bundes und der Länder ein besonderes Strafrecht geschaffen. So spricht z.B. § 5 LDG-RLP von einer Geldbuße, einem Begriff aus dem Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG). Dieses besondere Strafrecht muss dann aber auch den Anforderungen des Art. 7 Abs. 1 EMRK, des Art. 11 Abs. 2 AEMR und des Art. 103 Abs. 2 GG genügen.

Eine Konkretisierung von Tat und Strafe fehlt im beamtenrechtlichen Disziplinarverfahren des Bundes und aller Länder. Der aktuelle Strafrahmen ergibt sich höchstens aus dem Richterrecht, was aber schon mit Art. 20 Abs. 3 GG unvereinbar ist. Damit ist i.S.d. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 EMRK i.V.m. Art. 103 Abs. 2 GG dem Beamten keine Strafe wirksam per Gesetz angedroht worden, und die verhängte liegt dann begriffsnotwendig immer höher als die angedrohte Strafe. Das hat zur Folge, dass auf der Grundlage der Disziplinargesetze keinerlei Disziplinarstrafe verhängt werden darf. Ein Beamter darf nach Art. 103 GG nicht bestraft und nach Art. 7 EMRK nicht verurteilt werden.

Daraus folgt, dass es auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Normenklarheit mindestens eine Verordnungsermächtigung im Gesetz nach dem Muster der StVO geben müsste. Es müsste dann ein Katalog von hinreichend konkret formulierten Regelverstößen und einem dafür vorgesehenen Strafrahmen im Voraus formuliert werden, um den Anforderungen des Art. 7 EMRK zu genügen. Weil das nicht gegeben ist, ist das aktuelle Disziplinarrecht im Beamtenrecht verfassungswidrig und ein Verstoß gegen die Menschenrechte. Auch die Bezugnahme auf hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums in Art. 33 Abs. 5 GG kann eine Menschenrechtsverletzung nicht rechtfertigen!  

Im Ergebnis ist das Disziplinarrecht aktuell nach der Logik des angelsächsischen Case-Law geregelt, das grundsätzlich Einzelfälle nach Gutdünken entscheidet und die Gerechtigkeit nur aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz ableitet. Dafür wird nach Präzedenzfällen gesucht und gefragt, wie andere Gerichte in vergleichbaren Fällen entschieden haben. Das ist aber mit der Systematik des Römischen Rechts nicht vereinbar. Hier entscheiden die Gerichte auf der Basis von Vorgaben abstrakter Gesetze, die auf den Einzelfall angewendet werden. Für das Strafrecht hat das Römische Recht durch Art. 103 Abs. 2 GG Verfassungsrang. Aus der Verwendung des Verbes „bestrafen“ wird das Römische Recht für alle Sanktionen von missbilligtem Verhalten verfassungsrechtlich vorgeschrieben. Deshalb ist aktuell im Disziplinarverfahren angewendete Angelsächsische Recht im verfassungswidrig.  

Die Ministerin hat zur Beweislastumkehr möglicherweise einen Rückzieher gemacht. Nach ihrer Aussage im Bundestag treibt sie die Problematik aber schön länger um. Es werden neue Initiativen zur Verschärfung zu befürchten sein.

Dieser Vorstoß sollte aber ein Anlass sein, die Rechtsstaatlichkeit des Disziplinarrechts insgesamt zu hinterfragen. Die deutsche Außenministerin reist als Missionarin im die Welt, um dort die Menschenrechte zu predigen, aber die Bundesregierung übersieht die Menschenrechts-verletzungen im eigenen Land. In der Bibel steht in Matthäus 7, Vers 3:

 

„Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?“



Jeder Beamte, gegen den aktuell ein Disziplinarverfahren anhängig ist, sollte diese Argumentation aufgreifen und auf die Verfassungs- und Menschenrechtswidrigkeit des deutschen Disziplinarrechts hinweisen. Vielleicht findet sich ein Verwaltungsgericht, dass diese Frage dem BVerfG zur Entscheidung vorlegt.

Zum Umgang des Außenministeriums mit dem nicht-woken Art. 12 EMRK (Männer und Frauen im heiratsfähigen Alter haben das Recht … eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen.) wird auf https://reitschuster.de/post/wer-menschenrechte-wahrnehmen-will-kann-das-im-ausland-tun/, 26.06.2022 verwiesen. Mit den Menschenrechten im eigenen Land nimmt es die Bundesregierung also nicht so genau. Ihr sollte man wohl die Bibel zur Lektüre empfehlen. Vor dem zitierten Vers 3 heißt es:

 

„Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet. Denn mit welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden.“

 


Siehe auch:


https://www.anti-spiegel.ru/2022/innenministerin-faeser-will-ein-grundprinzip-des-rechtsstaates-abschaffen/

https://linkezeitung.de/2022/12/11/umkehr-der-beweislast-innenministerin-faeser-will-ein-grundprinzip-des-rechtsstaates-abschaffen/

https://reitschuster.de/post/die-rueckkehr-der-hexenverfolgung/

https://reitschuster.de/post/reichsbuerger-razzia-nancy-faeser-fordert-umkehr-der-beweislast/

https://theplattform.net/de/kanal/reitschuster-de/reichsburger-razzia-nancy-faeser-fordert-umkehr-der-beweislast

https://deutschlandkurier.de/2022/12/bei-extremismus-verdacht-faeser-plant-umkehr-der-beweislast-fuer-beamte/

https://journalistenwatch.com/2022/12/09/faesers-beweislastumkehr-die-rueckkehr-der-inquisition/

https://weltwoche.ch/daily/faesers-beweislast-umkehr-fuer-eine-kuendigung-bei-staatsangestellten-reicht-blosser-verdacht-auf-demokratie-feindlichkeit/

https://sicht-vom-hochblauen.de/innenministerin-faeser-will-disziplinarrecht-aendern-und-die-beweislast-umkehren/

https://de.detv.us/2022/12/09/innenministerin-faeser-will-disziplinarrecht-aendern-und-die-beweislast-umkehren-rt-de/

https://www.freiewelt.net/nachricht/faesers-beweislastumkehr-rechtsauslegung-wie-zur-zeit-der-hexenjagd-10091681/

https://www.extremnews.com/berichte/politik/aa4d18e5cde0fa5

https://www.pi-news.net/2022/12/achtung-reichelt-razzien-beweislastumkehr-deutschland-angstland/

 

 

konkreter Fall:

 

Ein Rechtsanwalt hat meine Anregung, mit der Verfassungsmäßigkeit des Disziplinarrechts zu argumentieren, in einem konkreten Fall aufgegriffen. Hier einen anonymisierten Auszug aus seinem Schriftsatz vom 06.03.23, wobei der Anwalt auch zwei Entscheidungen des BVerfG zitieren konnte:

 


Gerügt wird weiterhin ein Verfahrensmangel durch Verletzung des Grundsatzes nulla poena sine lege, welcher als grundrechtsgleiches Recht in Art. 103 Abs. 2 GG und in Art. 7 Abs. 1 Satz 1 EMRK als Menschenrecht Niederschlag gefunden hat. Strafe im Sinne dieser Regelungen sind nicht nur Strafen im Sinne des Strafgesetzbuchs und sonstiger strafrechtlicher Nebengesetze, sondern auch Ordnungswidrigkeiten und im Sinne des beamtenrechtlichen Strafrechts auch Disziplinarmaßnahmen als Strafen erfasst.

Das BVerfG führt in seiner Entscheidung vom 23. Juni 2010 - 2 BVR 105/09 – in Rz. 71 wie folgt aus:

Für den Gesetzgeber enthält Art. 103 Abs. 2 GG in seiner Funktion als Bestimmtheitsgebot dementsprechend die Verpflichtung, wesentliche Fragen der Strafwürdigkeit oder Straffreiheit im demokratisch-parlamentarischen Willensbildungsprozess zu klären und die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. … Das Bestimmtheitsgebot verlangt daher, den Wortlaut von Strafnormen so zu fassen, dass die Normadressaten im Regelfall bereits anhand des Wortlauts der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht.



Nach dem BVerfG-Urteil vom 20. März 2002 - 2 BvR 794/95 - gilt das auch führ die Höhe der Strafandrohung. In Rz. 69 führt das Urteil aus:

Das Gebot der Gesetzesbestimmtheit gilt auch für die Strafandrohung, die in einem vom Schuldprinzip geprägten Straftatsystem gerecht auf den Straftatbestand und das in ihm vertypte Unrecht abgestimmt sein muss … sie gibt Aufschluss über die gesetzgeberische Charakterisierung, Bewertung und Auslegung des Straftatbestands, der das strafwürdige Verhalten beschreibt. Die Strafe als missbilligende hoheitliche Reaktion auf schuldhaftes kriminelles Unrecht muss deshalb in Art und Maß durch den parlamentarischen Gesetzgeber normativ bestimmt, eine strafende staatliche Antwort auf eine Zuwiderhandlung gegen eine Strafnorm muss für den Normadressaten vorhersehbar sein.



Dem ist der Gesetzgeber im Bereich des Disziplinarrechts nicht ausreichend nachgekommen. Anders als im StGB oder im OWiG fehlt die gesetzliche Definition konkreter Vergehen mit einer konkreten Strafandrohung. Dies wäre aber nötig gewesen, damit Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind. Weil insbesondere die konkrete Strafandrohung für ein konkretes Vergehen der Kern des Bestimmtheitsgebots im Sinne des Erkennens der Tragweite ist, bestehen erheblich Zweifel an der Vereinbarkeit des Disziplinarrechts mit Art. 103 Abs. 2 GG und Art. 7 Abs. 1 EMRK.
...

Ministerium antwortet:

„Beamte sind keine Menschen!“


Der Anwalt, der die Argumentation dieser Website zum deutschen Disziplinarrecht übernommen hat, hat eine Erwiderung des zuständigen Ministeriums erhalten. Der Kläger ist nur mit einer anonymisierten Verwendung einverstanden, weshalb das konkrete Bundesland, das diese Rechtsauffassung vertritt, an dieser Stelle nicht genannt werden kann. Die Schriftsätze liegen dem Verfasser aber vor.

Der Anwalt hatte den Antrag auf Zulassung der Berufung u.a. damit begründet, dass das angefochtene Urteil entgegen der Vorschrift des Art. 6 Abs.1 S. 2 EMRK nicht in einer öffentlichen Verhandlung verkündet, sondern den Parteien lediglich nach § 116 Abs. 2 VwGO zugestellt wurde. Dies sei bei normalen Verwaltungsgerichtsverfahren wie z.B. bei Baugenehmigungen auch unproblematisch, nicht aber in einem Quasi-Strafverfahren. Hierzu erwiderte das Ministerium:

Entgegen den Ausführungen des Klägers ist in der fehlenden öffentlichen Verkündung des erstinstanzlichen Urteils gemäß § 116 Abs. 1 VwGO keinesfalls ein Verfahrensmangel zu sehen, da § 116 Abs. 2 VwGO als Verkündungsersatz die Zustellung des Urteils vorsieht, die im vorliegenden Fall zweifellos erfolgt ist. Dabei stellt § 116 Abs 2 VwGO auch nicht – wie der Kläger behauptet – eine „Ausnahmeregelung“ dar, vielmehr ist die Zustellung des Urteils nach dem uneingeschränkten Wortlaut des Gesetzes immer möglich, und zwar ohne Rangfolge zwischen Verkündung und Zustellung. Die Wahl steht im Ermessen des Gerichts (vgl. Eyermann/Kraft, 16. Aufl. 2022, VwGO, § 116 Rn13). Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang ergänzend auf Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK und die darin festgeschriebene öffentliche Verkündung eines Urteils in zivilrechtlichen Streitigkeiten und strafrechtlichen Anklagen verweist, ist bereits äußerst fraglich, ob diese Vorschrift auf das Disziplinarerfahren überhaupt anwendbar ist. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung umfasst die Vorschrift des Art. 6 EMRK das Disziplinarverfahren gerade nicht. (vgl. BVerwG, NJW 1983, 531 f.) Aber selbst wenn man eine Anwendbarkeit unterstellen würde, wird mit dem Schutzzweck des Art. 6 Abs.1 S. 2 EMRK nach einhelliger Auffassung jedenfalls dann genügt, wenn das Gericht mit dem Einverständnis der Parteien oder jedenfalls nicht gegen den ausdrücklichen Widerspruch eines anwesenden Beteiligten vor der Verkündung des Urteils absieht. Verkündet also das Gericht den Beschluss über die Zustellung nach § 116 Abs. 2 VwGO in der mündlichen Verhandlung, ohne dass die anwesenden Beteiligten dieser Verfahrensweise widersprechen, liegt kein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK vor. (vgl. Schoch/Schneider/Clausing/Kimmel, 43. EL August 2022, VwGO § 116 Rn. /).



Diese skandalöse Einstellung der betreffenden Landesregierung zu den Menschenrechten kann so nicht stehen bleiben! Die Regierung meint allen Ernstes, dass deutsche Gerichtsurteile und Gesetzeskommentare den Menschenrechten vorgehen.

Die Präambel der EMRK verweist auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, die bezweckt, die universelle und wirksame Anerkennung und Einhaltung der in ihr aufgeführten Rechte zu gewährleisten. Diese betont im Eingangssatz die angeborene Würde und die gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen. Selbst wenn das Verwaltungsgericht den anwaltlich nicht vertretenen Kläger ausdrücklich gefragt hätte, ob er mit einer Verletzung seines Menschenrechts aus Art. 6 Abs. 1 EMRK einverstanden wäre, so wäre dieser Verzicht auf ein unveräußerliches Menschenrecht unwirksam. Eine konkludente Zustimmung nach einem dem deutschen Recht fremden Grundsatz „wer schweigt stimmt zu“ ist schon völlig unmöglich. Würde man sich auf diese Argumentation einlassen, könnte selbst ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK gerechtfertigt werden, sofern sich ein Folteropfer gegenüber dem Folterknecht nicht ausdrücklich auf die EMRK beruft und in zur Beendigung der Folterung auffordert. Zudem dürfte eine solche Erklärung wohl auch kaum protokolliert werden.

Es dürfte wohl nicht bestreitbar sein, dass der Kläger vom Verwaltungsgericht i.S.d. wegen einer Handlung verurteilt wurde, womit Art. 7 Abs. 1 EMRK einschlägig ist. Die Behauptung der Beklagten, dass die EMRK nicht auf das beamtenrechtliche Disziplinarrecht anwendbar sei, kann im Umkehrschluss nur bedeuten, dass Beamte nach der Meinung der Beklagten keine Menschen seien. Wenn das BVerwG wirklich eine solche Meinung vertreten haben sollte, so dürfte der EUGH-MR auch ohne biologisches Gutachten wahrscheinlich zu einer anderen Einschätzung kommen.

Zu der Fundamentalkritik am deutschen Disziplinarrecht fanden sich in der Erwiderung nur zwei Sätze:

Von einer Erwiderung auf die seitens des Klägers unter II.2. getätigten Ausführungen zur angeblichen Verletzung des Grundsatzes nulla poena sina lege wird abgesehen. Die dort geäußerten Rechtsauffassungen zur mangelnden Vereinbarkeit des Disziplinarrechts mit Art. 103 Abs. 2 GG und Art. 7 Abs. 1 EMRK entbehren jeder Grundlage und liegen aus Sicht der Beklagten neben der Sache.


 

Im Klartext:
Auch hier interessieren die Menschrechte niemanden. Eine regierungskritische Rechtsauffassung diskutiert die Regierung nicht. Sie vertraut darauf, dass die Verwaltungsgerichte nicht unabhängig sind den Anweisungen der Regierung folgen.

Wenn man isoliert das deutsche Recht getrachtet, so könnte man auf Art. 33 Abs. 5 GG verweisen: „Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.“ Die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums stammen aus vordemokratischen Zeiten, und natürlich hätten weder Preußen noch das Kaiserrecht den Beamten oder Soldaten Menschenrechte zugestanden. Sie wurden nur als Zahnräder in der Maschine des Staatsapparats angesehen, nicht als Menschen. Die EMRK erkennt aber nur in Art. 11 Abs. 2 Einschränkungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit für „Angehörige der Streitkräfte, der Polizei oder der Staatsverwaltung“ an. Die vordemokratischen „Grundsätze des Berufsbeamtentums“ müssen dagegen an den Anforderungen der EMRK gemessen werden. Weil das GG auch Fortentwicklung dieser Grundsätze verlangt, kann die pauschale Verweigerung von Menschenrechten für Beamte und Soldaten nicht aufrechterhalten werden.

Eine Argumentation mit einer Geringschätzung der EMRK, der sich auch die Regierung von Nordkorea anschließen könnte, war zu erwarten. Seit drei Jahren ist eine zunehmende Missachtung der Menschenrechte durch deutsche Behörden zu beobachten. Reitschuster.de berichtete am 26.06.2022 auf https://reitschuster.de/post/wer-menschenrechte-wahrnehmen-will-kann-das-im-ausland-tun/ über einen Fall, in dem das Haus Baerbock das Recht auf Heirat nach Art. 12 EMRK verletzt hat und vor dem Verwaltungsgericht sinngemäß erklärte: „Wer Menschenrechte wahrnehmen will, kann das im Ausland tun“. (wörtlich: „Sofern jedoch die Ehe auch im Ausland geschlossen werden kann, ist die Einreise zur Eheschließung nicht erforderlich, um eine eheliche Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet führen zu können. Vorliegend ist nichts ersichtlich, was der Eheschließung im Heimatland entgegensteht.“) – vom Verfasser wweiter unten auf dieser Seite sowie auf https://www.prof-mueller.net/klage/woke/ kommentiert. Die Argumentation des Ministeriums fügt sich nahtlos in diese Fehlentwicklung ein.

 

Wer definiert die Menschenrechte?

 

Bei der Posse um die Kapitänsbinden bei der Fussball-WM wurde behauptet, die von westlichen Verbänden entworfene Kapitänsbinden für ihre „Divers“schaften („Mann“schaften dürfen sie Gender-gerecht wohl nicht mehr genannt werden) seien keine lt. FIFA-Regeln verbotene politische Botschaft, sondern ein Bekenntnis zu den Menschenrechten. Man könnte den Diversschaftskapitän:innen den Rat geben, einen One-Love-Tampon statt einer Binde zu tragen, und zwar *innen statt *außen. Dass Fußballspieler:innen Fußball spielen statt zu gendern wäre wohl zu viel verlangt. Die deutsche Diversschaft musste wie vor 4 Jahren (damals war es noch eine Mannschaft) nach der Vorrunde abreisen!

 


Nach der offiziellen Begründung für diesen Binden-Zirkus, der DFB würde sich zu den Divers-Menschenrechten bekennen, stellt sich die Frage, auf welche konkrete Regel sich diese Aussage bezieht und wer die Menschenrechte eigentlich definiert. Bisher wurde auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die UNO vom 10.12.1948 (AEMR) und die Europäische Menschenrechtskonvention des Europarats vom 04.11.1950 verwiesen. Die hier relevanten Artikel 12 EMRK und 16 AEMR haben folgenden Wortlaut:

 

Artikel 12 EMRK:    Recht auf Eheschließung
Männer und Frauen im heiratsfähigen Alter haben das Recht, nach den innerstaatlichen Gesetzen, welche die Ausübung dieses Rechts regeln, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen.

Artikel 16 AEMR
(1) Heiratsfähige Männer und Frauen haben ohne jede Beschränkung auf Grund der Rasse, der Staatsangehörigkeit oder der Religion das Recht, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Sie haben bei der Eheschließung, während der Ehe und bei deren Auflösung gleiche Rechte.
(2) Eine Ehe darf nur bei freier und uneingeschränkter Willenseinigung der künftigen Ehegatten geschlossen werden.
(3) Die Familie ist die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat.



Geschützt wird also die heterosexuelle Verbindung von nicht-transsexuellen Männern und Frauen sowie die Institution einer auf dieser Verbindung aufgebauten Familie. Das gilt auch für die kurze Regelung in der EMRK, die sich in ihrer Präambel ausdrücklich auf die AEMR bezieht. Ein Recht auf Homosexualität, Transsexualität oder Diversität sucht man hier vergebens. Natürlich gibt es auch kein Gebot, solche Ausprägungen unterdrücken zu müssen. Sie sind aber mindestens nicht durch die Menschenrechte geschützt. Dass einzelne Staaten für ihr Hoheitsgebiet weitergehende Rechte schaffen dürfen, war und ist unbestritten. Die gelten dann aber nur in Westeuropa und nicht am Persischen Golf oder in Russland. Das ist dann aber keine Verletzung der AEMR oder der EMRK, die nach der Ausgrenzung Russlands dort auch nicht mehr gilt.

Natürlich wäre die Diskussion berechtigt, ob nach über 70 Jahren nicht eine Aktualisierung von Art. 12 EMRK und Art. 16 AEMR fällig wäre. Man kann aber realistisch einschätzen, dass es in der UNO insbesondere bei den asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Mitgliedsländern keine nennenswerte Unterstützung für eine Aufnahme von LGBTQXYZ-Forderungen in die AEMR und damit keine Mehrheit in der Generalversammlung geben wird. Der Europarat könnte dagegen mit Mehrheit ein Zusatzprotokoll zur EMRK mit der Definition von LGBTQXYZ-Rechten beschließen. Ob damit die Rechte der traditionellen Familien, die aus dem Verweis der EMRK-Präambel auf die AEMR abgeleitet werden können, eingeschränkt werden dürfen, wäre zuvor gewissenhaft zu klären. Andernfalls müssten die Pro-LGBTQXYZ-Länder die alte EMRK aufkündigen und eine neue Konvention mit LGBTQXYZ-Rechten und ohne Bezug auf die AEMR beschließen. Für die verbleibenden Länder bliebe es bei der alten EMRK ohne LGBTQXYZ-Rechte und mit Bezug auf die AEMR.

Bisher liegt aber noch nicht einmal ein Entwurf dafür vor, und selbst ein beschlossenes Zusatzprotokoll würde dann nur in den Ländern gelten, die es auch ratifizieren; mindestens in Italien, Polen und Ungarn also wohl nicht; vielleicht auch nur in Deutschland, BENELUX und Skandinavien. Und die EMRK würde sich selbst mit einem der AEMR widersprechenden Zusatzprotokoll in einen Widerspruch zur UNO begeben. Sollen dann wirklich in Westeuropa, Australien und Nordamerika andere Menschenrechte gelten als in Italien, Polen, Ungarn, Asien, Afrika und Lateinamerika?

Bis jetzt kann die westeuropäische Kapitänsbinde dann wohl nur als Forderung nach einer Neudefinition der Menschenrechte im Sinne von woken Möchtegern-Eliten gewertet werden, also als politische Forderung. Und die hat nach den FIFA-Regeln an der Spieler-Kleidung keinen Platz. Die westeuropäische Kritik an der FIFA kann dann wohl nur als Teil des politischen Spiels „der Westen gegen den Rest der Welt“ angesehen werden. Es fügt sich ein in das Konzept der „Regelbasierten Weltordnung“, die die bisherigen Regeln aushöhlen und die Wünsche von USA und vielleicht noch der G7 zu den einzig gültigen Regeln erklären will, denen der Rest der Welt zu folgen habe.

Es geht also nicht um die Verteidigung der Menschenrechte, sondern um einen Angriff auf die Definitionsmacht der Weltgemeinschaft und im Ergebnis um die Ausgrenzung Asiens, Afrikas und Lateinamerikas. Dass sich ein Weltverband wie die FIFA dem nicht anschließen kann, dürfte verständlich sein.

 


Nachtrag:  Diversity looses! 

Wer hat den Fan-Hanseln eigentlich die Sonderlackerung bezahlt?

 

Wenn die Lufthansa weiter für "one love" und diversity eintreten will, könnte sie sich auch in "Lusthansa" umbenennen.

 

 

Wer Menschenrechte wahrnehmen will, kann das im Ausland tun


Bei reitschuster.de wird ein Fall beschrieben, der zunächst wie eine Bürokratie-Posse aussieht. Die Sache geht aber tiefer!

(Quelle: https://reitschuster.de/post/wer-menschenrechte-wahrnehmen-will-kann-das-im-ausland-tun/, 26.06.2022)

Art. 12 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) formuliert ein Menschenrecht: „Männer und Frauen im heiratsfähigen Alter haben das Recht … eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen.“ Das wurde einem Deutschen und seiner ausländischen Verlobten verweigert. Dieses Recht ist schließlich nicht woke, denn Schwule, Lesben und Transen sind von der EMRK nicht erfasst. Art. 16 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UNO geht sogar noch weiter. Abs. 3 ergänzt eine mit Art. 12 EMRK identische Formulierung: „Die Familie ist die natürliche Grundeinheit der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und Staat.“ Es wird also die heterosexuelle Lebensgemeinschaft von Mann und Frau als Menschenrecht anerkannt und einer von ihnen gegründeten Familie mit den von ihnen gezeugten Kindern ein Anspruch auf Schutz zugesprochen, auch vor Queer-Ideologen. Diverse Lebensformen sind nicht verboten, sie sind aber eben nicht geschützt, denn Art. 12 EMRK gilt nur für „Männer und Frauen im heiratsfähigen Alter“ und nur in dieser gegenseitigen Kombination!

Vor diesem Hintergrund ist Art. 6 Abs. 4 GG (Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.) bemerkenswert. Als vor ca. 2 Mio. Jahren der Homo Erectus den aufrechten Gang entwickelte, erhöhte sich bei den Weibchen bzw. Frauen das Risiko von Fehlgeburten. Bei Vierbeinern werden die Föten von der Buchmuskulatur gehalten und trächtige Weibchen sind in ihrer Bewegungsfähigkeit kaum eingeschränkt. Bei Zweibeinern liegt der Fötus auf dem Beckenknochen, und schwangere Frauen können beim Laufen und Springen leichter eine Fehlgeburt haben. Die Sippen, die mindestens die schwangeren Frauen von körperlichen Anstrengungen entlasteten, hatten also mehr Nachkommen als andere Sippen, die dann ausgestorben sein müssten. Es muss also schon in der Altsteinzeit eine Regelung gegeben haben, die im Grundgesetz 2 Mio. Jahre später lediglich ausformuliert wurde. Art. 6 Abs. 4 GG hat somit das traditionelle Rollenverständnis mit der seit 2 Mio. Jahren herausgebildeten, geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung unter den Schutz der Verfassung stellt. Frauen sind zwar nicht verpflichtet, Mutter zu werden und den Schutz des Art. 6 Abs. 4 GG für sich in Anspruch zu nehmen, sie haben aber trotz Art. 3 Abs. 2 GG ein Grundrecht darauf.

Mit der Aussage aus dem Hause Baerbock „Wer Menschenrechte wahrnehmen will, kann das im Ausland tun“ wird auch an den Menschenrechten insgesamt gesägt, nachdem die Grundrechte mit der Corona-Politik schon ausgehöhlt wurden. Nach dieser Aussage kann man auch für Demonstrationen ins Ausland fahren, oder wenn man unabhängige Zeitungen lesen will.

 

Aus den Kommentaren bei Reitschuster ist teilweise schon das Unverständnis herauszulesen, warum denn das Recht auf Heirat und Familiengründung ein Menschenrecht sein soll. Den Inhalt der EMRK kennt kaum noch jemand, und das ist wohl Absicht!